Urhebernachweis: Reinhard Drews/Sebastian Mutz |
Wissenschaftler
der Universität Tübingen an Studie zur Entstehung von dünnschichtigen Kanälen
im Schelfeis beteiligt
Lange
Geländerücken aus Sand und Kies, sogenannte Wallberge oder Esker, entstehen
unter Eisschilden. Sie sind zum Beispiel auf der Landfläche Skandinaviens und
Nordamerikas stehen geblieben, als sich dort das Eis nach der letzten Eiszeit
zurückzog. Bisher wurden solche Geländeformen jedoch nicht unter aktuell
bestehenden Eisschilden beobachtet. Nun hat ein Wissenschaftlerteam unter der
Leitung der Université libre de Bruxelles in Belgien und der Bayrischen
Akademie der Wissenschaften mithilfe von Satellitendaten und eines Radars, das
kilometertiefes Eis durchdringen kann, unter den Eispanzer der Antarktis
geschaut. Mit Beteiligung von Dr. Reinhard Drews, seit kurzem beschäftigt in
der Arbeitsgruppe von Professor Todd Ehlers im Fachbereich Geowissenschaften
der Universität Tübingen, entdeckte das Wissenschaftlerteam dort ein aktives
hydrologisches System aus Kanälen und Geländerücken. Diese sind bis zu 250
Meter hoch – fünfmal höher als die heutigen Überbleibsel der Wallberge in
Skandinavien und Nordamerika. In ihrer Studie, die in der Fachzeitschrift Nature
Communications veröffentlicht wurde, beschreiben die Wissenschaftler
außerdem, wie die Wallberge dem schwimmenden Schelfeis tiefe Kerben zufügen.
Wassergefüllte
Tunnel leiten das Schmelzwasser, das sich unter den ausgedehnten Eisschilden
bildet, in Richtung Meer. Diese Tunnel haben typischerweise einen Durchmesser
von einigen Metern. Neue geophysikalische Beobachtungen der Forschergruppe an
der Université libre de Bruxelles, die mithilfe von Satelliten und mit einem
das Eis durchdringenden Radar am Roi-Baudouin-Schelfeis in der Ostantarktis
gewonnen wurden, ergaben, dass sich die wassergefüllten Kanäle in Richtung des
Ozeans zunehmend verbreitern. Die Erweiterung der Kanäle konnten die
Wissenschaftler mithilfe eines neuen mathematischen Modells durch den ständigen
Wasserabfluss erklären. Je breiter die Kanäle werden, desto stärker verringert
sich die Fließgeschwindigkeit des Wassers im Tunnel unter dem Eis. Das führt
dazu, dass sich in diesen Bereichen nahe der Grenze zwischen dem Eisschild und
dem Ozean verstärkt Sand und Kies ablagern. Über die Jahrtausende wurden unter
dem Antarktiseis auf diese Weise gewaltige Sedimentrücken gebildet – bis zu
einer Größenordnung in der Höhe des Pariser Eiffelturms.
Die
Esker kerben das Eis von unten ein, während dieses in Richtung Ozean über die
basalen Hindernisse fließt. Diese Kerben erscheinen als Kanäle in den
stromabwärtsgelegenen, schwimmenden Eisschelfen. Das Eis in diesen Kanälen ist
nur etwa halb so dick wie in der Umgebung, sodass ein Schwachpunkt entsteht,
wenn sie in Kontakt mit dem wärmeren Ozean kommen. Bisher dachte man, so das
Wissenschaftlerteam, dass die Kanäle hauptsächlich durch Schmelzprozesse des
warmen Ozeanwassers gebildet werden. Doch sei dies den neuen Ergebnissen
zufolge wohl nicht der alleinige Grund: „Unsere Studie belegt, dass Kanäle in
der Eisschicht schon auf dem Land geformt werden können und dass die Größe der
Kanäle signifikant von den Sedimentationsprozessen abhängt, die über viele
Tausende von Jahren ablaufen“, erklärt Reinhard Drews, der Erstautor der
Studie. Bisher sei noch unklar, welchen Einfluss die dünnschichtigen Kanäle auf
die Stabilität des Schelfeises haben.
Der
Zusammenhang zwischen dem Wassersystem unter dem Eis, der Ablagerung von
Sedimenten und der Stabilität des Schelfeises sei bisher so nicht bekannt
gewesen, sagt das Wissenschaftlerteam. Dies eröffne neue Möglichkeiten, die
Schlüsselprozesse unter der antarktischen Eisschicht zu verstehen. Außerdem
könne man mithilfe der neuen Ergebnisse die Ausdehnung der Eisschicht während
der vergangenen Eiszeiten auf der Nordhalbkugel genauer rekonstruieren.
Publikation:
R. Drews, F. Pattyn, I.J. Hewitt,
F.S.L. Ng, S. Berger, K. Matsuoka, V. Helm, N. Bergeot, L. Favier & N.
Neckel: Actively evolving subglacial conduits and eskers initiate ice shelf
channels at an Antarctic grounding line. Nature Communications, 9. Mai 2017, DOI: 10.1038/ncomms15228
Kontakt:
Dr.
Reinhard Drews
Universität
Tübingen
Fachbereich
Geowissenschaften – Geodynamik
Telefon
+49 7071 29-74252
reinhard.drews[at]uni-tuebingen.de