An Fruchtfliegen identifizierten Wissenschaftler aus dem
Deutschen Krebsforschungszentrum ein Gen, das die Balance zwischen Körperwärme
und Fettverbrennung steuert. Fehlt die Erbanlage, so setzen die Fliegen Fett an
und produzieren gleichzeitig weniger Körperwärme. Übertragen auf den Menschen,
könnten die Ergebnisse erklären, wie eine evolutionäre Anpassung des Menschen
an ein Leben in wärmeren Zonen die drastische Zunahme an Fettleibigkeit
fördert.
Ob ein Mensch Fettpolster ansetzt oder schlank bleibt, ist
nicht allein eine Frage der Ernährung oder des Willens: Wissenschaftler wissen,
dass der Hang zur Fettleibigkeit auch in der Familie liegen kann, also in den
Genen festgeschrieben ist. Nicht alle der dafür verantwortlichen Erbanlagen
sind bislang identifiziert.
Besonders anfällig für Fettleibigkeit sind Menschen in
wärmeren Klimazonen. "Eine gängige Theorie besagt, dass ein gedrosselter
Stoffwechsel und damit geringere Wärmeproduktion eine Anpassung an die warme
Umgebung sind. Die überschüssige Energie wird dann in Form von Fettpolstern
gespeichert", sagt Aurelio Teleman vom Deutschen Krebsforschungszentrum
(DKFZ). "Wenn das zutrifft, müsste es Gene geben, die die Balance zwischen
Wärmeproduktion und Fettspeicherung steuern. Und diese Gene sollten sich bei
verschiedenen Menschen - abhängig vom Breitengrad - unterscheiden."
Ein Kandidat für ein solches Balance-Gen war THADA: Große
Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass Menschen aus verschiedenen
Klimazonen sich in diesem Gen besonders stark unterscheiden. Das bedeutet, dass
die Erbanlage starker evolutionärer Anpassung unterliegt. "Wir hatten
allerdings keine Vorstellung davon, welche Funktion oder Aufgabe THADA im
Organismus ausübt und ob es tatsächlich in die Stoffwechselregulation
eingreift. Um das herauszufinden, haben wir das Gen bei Fruchtfliegen
ausgeschaltet", sagt der Stoffwechselexperte Teleman.
Fliegen ohne THADA fressen viel, setzen Fett an und
produzieren weniger Wärme, so dass sie schnell unter Kälte leiden. Nach einigen
Stunden im Kühlschrank sind Fruchtfliegen erstarrt. Während sich die normalen
Fliegen rasch erholen, brauchten die Tiere ohne THADA dafür deutlich länger.
"Ihr Fett isoliert sie also nicht und wir konnten nachweisen, dass sie
tatsächlich weniger Wärme produzieren", so Alexandra Moraru, die
Erstautorin der aktuellen Publikation.
THADA, so fanden die DKFZ-Forscher heraus, beeinflusst
ein Protein, das Calcium aus dem Zellplasma in zelluläre Speicherdepots pumpt.
Diese Pumpleistung steigt dramatisch an, wenn THADA fehlt. Wenn die Forscher
die Leistung der Calcium-Pumpe experimentell drosseln, kompensiert dies den
THADA-Verlust und schützt die Fliegen vor Fettleibigkeit. "Dieses Ergebnis
passt ins Bild: Seit kurzem wissen wir aus zahlreichen Arbeiten von Kollegen,
dass Calcium-Signale ein wichtiges Steuerelement des Energiestoffwechsels sind.
THADA greift also an zentraler Stelle in die Stoffwechselregulation ein",
fasst Moraru zusammen.
Die neuentdeckten Funktionen von THADA sind offenbar
keine Spezialität des Fliegen-Stoffwechsels: Das THADA-Gen des Menschen kann in
der Fruchtfliege den Verlust des Fliegen-THADA kompensieren, was dafür spricht,
dass das Gen in beiden Arten vergleichbare Funktionen ausübt. Schalteten die
Forscher THADA in menschlichen Tumorzellen in der Kulturschale aus, so führte
dies, wie bei der Fliege, zu stärkeren Calcium-Signalen.
Die neuentdeckten Funktionen von THADA können helfen, die
evolutionären Hintergründe der derzeitigen weltweiten Übergewichts-Epidemie zu
verstehen. Besonders aufschlussreich dabei ist der kombinierte Einfluss auf
Fettleibigkeit und Kälteempfindlichkeit. "THADA zählt zu den Genen, in
denen sich seit der Trennung von Neandertaler und modernem Menschen die meisten
Unterschiede angehäuft haben. Auch später, als sich die modernen Menschen über
verschiedene Klimazonen verbreitet haben, unterlag THADA weiterhin starker
evolutionärer Anpassung", erklärt Teleman. "Unsere Ergebnisse legen
nahe, dass sich die Menschen an verschiedene Klimazonen anpassen mussten, was
ihre Veranlagung zur Fettleibigkeit gefördert hat."
Die Veranlagung für krankhaftes Übergewicht ist besonders
bei Menschen in warmen Teilen der Welt verbreitet. Dort kann ein reduzierter
Stoffwechsel helfen, eine Überhitzung des Körpers zu vermeiden. "In
Kombination mit unserer modernen Ernährungsweise führt dieser gedrosselte
Energieverbrauch jedoch schnell zur Fettleibigkeit", ist das Fazit des
Stoffwechselexperten.
Telemans aktuelle Ergebnisse lassen auch Krebsexperten
aufhorchen: Verschiedene Defekte des THADA-Gens stehen mit einem erhöhten
Risiko für bestimmte Krebserkrankungen im Zusammenhang, etwa mit akuten
Leukämien, Schilddrüsenkrebs, Prostata- und Darmkrebs. "Fettleibigkeit ist
ein bekannter, wichtiger Risikofaktor bei zahlreichen Krebserkrankungen. Ob die
Assoziation von THADA-Gendefekten und dem gesteigerten Risiko für bestimmte
Krebsarten durch den Einfluss THADAS auf den Energiestoffwechsel zustande kommt
oder ob sie mit einer bislang noch unbekannten Funktion des Gens in Verbindung
steht, können wir bislang noch nicht sagen."
Die Arbeit wurde von der Deutschen Krebshilfe und von der
Deutschen Forschungsgemeinschaft (SFB1118) gefördert.
Alexandra Moraru, Gulcin Cakan-Akdogan, Katrin
Strassburger, Matilda Males, Sandra Mueller, Markus Jabs, Michael Muelleder,
Martin Frejno, Bart P. Braeckmann, Markus Ralser und Aurelio Teleman: THADA
Regulates the Organismal Balance between Energy Storage and Heat Production.
Developmental Cell 2017, DOI: 10.1016/j.devcel.2017.03.016
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr
als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische
Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen
Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass
Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren
präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden
können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes
(KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die
Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat
das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die
Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale
Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für
Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären
Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der
hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um
die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom
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