Sonntag, 4. Dezember 2016

Neue Form des Autismus entdeckt

Internationales Forscherteam geleitet von WissenschaftlerInnen am IST Austria identifiziert eine neue Form des syndromischen Autismus • Studie in Cell erschienen

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) betreffen rund ein Prozent der Weltbevölkerung. Charakteristisch für diese Störung sind eine Reihe an Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation. In einer neuen Studie in Cell identifiziert ein Forscherteam geleitet von Gaia Novarino, Professorin am IST Austria, eine neue genetische Ursache für ASS. Gaia Novarino erklärt, weshalb diese Entdeckung wichtig ist: “Viele verschiedene genetische Mutationen verursachen Autismus, und sie treten alle selten auf. Diese Heterogenität erschwert die Entwicklung effektiver Behandlungen. Unsere Analyse zeigte nicht nur ein neues, mit Autismus verbundenes Gen, sondern identifizierte auch den Mechanismus, über den die Mutation Autismus verursacht. Aufregend ist, dass  Mutationen in anderen Genen über denselben Autismus-verursachenden Mechanismus verfügen. Das deutet darauf hin, dass wir eine Untergruppe von ASS gefunden haben.”
 “Neue Gene zu identifizieren ist schwer, insbesondere bei so heterogenen Krankheiten wie Autismus. Durch diese Zusammenarbeit konnten wir allerdings Mutationen in einem Gen, dem sogenannten SLC7A5, in mehreren Patientinnen identifizieren, die konsanguinen Partnerschaften entstammen und bei denen syndromischer Autismus diagnostiziert wurde”, erklärt Dr. Ahmet Caglayan, Vorsitzender des Department of Medical Genetics der School of Medicine an der İstanbul Bilim University, Türkei, und Ko-Autor der Studie.
SLC7A5 transportiert eine bestimmte Form von Aminosäuren, die sogenannten verzweigt-kettigen Aminosäuren (branched-chain amino acids, BCAA), in das Gehirn. Um zu verstehen, wie Mutationen von SLC7A5 Autismus auslösen, untersuchten die ForscherInnen Mäuse, bei denen der Transporter an der Blut-Hirn-Schranke entfernt wurde. Dies reduziert den Spiegel an BCAAs im Gehirn der Mäuse und stört die Proteinsynthese in den Neuronen. Die Mäuse zeigen verringerte soziale Interaktion und andere Veränderungen in ihrem Verhalten, die auch bei anderen Mausmodellen des Autismus beobachtet werden. In einer früheren Studie identifizierten Gaia Novarino und KollegInnen eine Mutation in einem Gen, das für den Abbau derselben Aminosäuren benötigt wird, in PatientInnen mit Autismus, geistiger Behinderung und Epilepsie. “Natürlich betreffen nicht alle Autismus-verursachenden Gene den Aminosäurespiegel, und diese Formen des Autismus sind sehr selten, aber möglicherweise fallen noch weiter Formen des Autismus in diese Gruppe.” erklärt Gaia Novarino. 
Die ForscherInnen konnten manche der neurologischen Veränderungen in den adulten Mäusen, denen SLC7A5 an der Blut-Hirn-Schranke fehlte, behandeln. Nachdem sie drei Wochen lang BCAAs direkt im Gehirn ergänzten, beobachteten die AutorInnen eine Verbesserung der Verhaltenssymptomatik. Dora Tarlungeanu, PhD Studentin in Gaia Novarinos Gruppe und Erstautorin der Studie, ist erfreut über die Zukunftsaussichten: “Unsere Forschung fand eine mögliche Behandlung für bestimmte Symptome, die sich in dieser Form der ASS in Mäusen präsentierten. Aber eine Übertragung in eine Behandlung für ASS PatientInnen wird viele Jahre weiterer Forschung benötigen.” Die Ergebnisse stehen im Gegensatz zu der Idee, dass ASS immer unumkehrbare Erkrankungen sind. Die Behandlungsform bei Mäusen kann natürlich nicht direkt in eine Behandlung am Menschen umgewandelt werden. Aber die ForscherInnen zeigen, dass manche der neurologischen Komplikationen in Mäusen ohne SLC7A5 behandelt werden können, und dass so die Möglichkeit besteht, PatientInnen – über kurz oder lang – auch zu behandeln.

Kontakt:

Gaia Novarino, PhD
Assistant Professor
gaia.novarino@ist.ac.at

Dr. Elisabeth Guggenberger
Media Relations Manager
Tel: +43 (0)2243 9000 1199
Mobil: +43 (0)664 88326170


IST Austria
Das Institute of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg ist ein Forschungsinstitut mit eigenem Promotionsrecht. Das 2009 eröffnete Institut widmet sich der Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, der Mathematik und den Computerwissenschaften. Das Institut beschäftigt ProfessorInnen nach einem Tenure-Track-Modell und Post-DoktorandInnen sowie PhD StudentInnen in einer internationalen Graduate School. Neben dem Bekenntnis zum Prinzip der Grundlagenforschung, die rein durch wissenschaftliche Neugier getrieben wird, hält das Institut die Rechte an allen resultierenden Entdeckungen und fördert deren Verwertung. Der erste Präsident ist Thomas Henzinger, ein renommierter Computerwissenschaftler und vormals Professor an der University of California in Berkeley, USA, und der EPFL in Lausanne, Schweiz.